NEWS: Altersvorsorge: Altersarmut bekämpfen!

Wer Altersarmut erst in der Rente bekämpft, macht einen teuren Fehler

(Montag, 10.07.2017) Berechnungen sagen einen Anstieg der Altersarmut voraus. Das Rentensystem oder die letzten Rentenreformen tragen dafür aber nicht die Alleinschuld. Die Ursachen des Problems beginnen viel früher.
Altersarmut unterscheidet sich dramatisch von Armut in jüngeren Altersklassen: Sie ist meist endgültig! Denn hat man das Rentenalter erst einmal erreicht, dann bestehen anders als bei Auszubildenden oder Erwerbstätigen meist weder Hoffnung noch Chance, der Armut aus eigener Kraft wieder zu entrinnen. Private Vorsorge durch Vermögensbildung ist weitgehend abgeschlossen und Überstunden, Karrieresprünge oder Jobwechsel sind allenfalls bei jungen Senioren noch möglich. Insofern ist es verständlich, dass Altersarmut derzeit in Deutschland mal wieder sehr kontrovers diskutiert wird.


Drei neue Studien prophezeien zunehmende Altersarmut

Allein im Juni wurden drei neue Prognosen zur Altersarmut veröffentlicht. Während die Ver.di-Studie das Bild von 5 bis 7,5 Millionen Menschen in Altersarmut an die Wand malt, vermelden die Studien von DIA und Bertelsmann einen eher gemäßigten Anstieg; demnach würde die Zahl der von Altersarmut bedrohten bis zum Jahr 2030 von heute rund drei Millionen allenfalls auf gut vier Millionen ansteigen. Einig sind sich dagegen alle darin, dass allein die gesetzliche Rente künftig nicht (mehr) den Lebensstandard im Alter sichern wird.
Aktuell ist Altersarmut noch kein Thema
Derzeit ist Armut im Alter jedoch (noch) kein drängendes Problem. Im Gegenteil: Verglichen mit Arbeitslosen (72,7 Prozent armutsgefährdet), Alleinerziehenden (42,7 Prozent) oder jungen Erwachsenen (23,8 Prozent) sind Senioren (18,5 Prozent) in Deutschland laut aktuellem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung immer noch weitaus seltener armutsgefährdet. Und während insgesamt 8,4 Prozent aller in Deutschland Lebenden im Jahr 2015 Grundsicherung beziehen, gilt dies nur für 3,4 Prozent der 65-Jährigen und Älteren.

 

Trotz sinkendem Rentenniveau sorgen zu wenige privat vor

Gleichwohl muss man davon ausgehen, das zeigen die Studien, dass das Armutsrisiko für künftige Senioren höher liegen wird. Das ist vor allem deswegen so, weil die Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung künftig sinken und dies bei den Betroffenen nicht in ausreichendem Maße Verhaltensänderungen hervorruft. Wenn das Niveau der gesetzlichen Rente tatsächlich von heute 48 Prozent auf 43 Prozent im Jahr 2030 sinkt, dann würde die Quote der von Altersarmut bedrohten Rentner laut DIA-Studie von 18,5 Prozent auf 23,8 Prozent und die Quote der Bezieher von Grundsicherung von 3,7 Prozent auf 5,0 Prozent steigen.
Noch schlimmer wäre der Anstieg, wenn geringerer Löhne, kürzerer Beitragszeiten, zunehmende Erwerbsunterbrechungen oder als Folge der Rentenabschläge bei Frühverrentung die künftigen Rentner im Durchschnitt fünf Beitragspunkte verlören; die Altersarmut läge dann bei 28,8 Prozent (Armutsrisiko) bzw. 6,3 Prozent (Bezug Grundsicherung). Umgekehrt könnten zusätzliche Beitragspunkte oder private Vorsorge einen erheblichen Beitrag zur Abmilderung der Altersarmut leisten – im Idealfall wäre dann sogar eine geringere Altersarmut als heute denkbar.

 

Wir wissen heute schon, wessen Armutsrisiko künftig steigt

Wahrscheinlicher als diese Extremszenarien ist jedoch ein heterogenes Verhalten unterschiedlicher Menschen. Vor allem besser Ausgebildete oder Großstädter werden eher länger arbeiten und Frauen, Erwerbstätige mit Lehrberufen oder Gutverdiener werden eher privat vorsorgen. Im Ergebnis wird die Altersarmut nur mäßig ansteigen auf Werte um 20 Prozent beim Armutsrisiko bzw. 3,9 Prozent beim Bezug von Grundsicherung. Gleichwohl wird es vor allem unter Ostdeutschen, Geringqualifizierten, Migranten und Geringverdienern Teilgruppen mit erheblich höherem Armutsrisiko geben als heute.

 

Weniger Schulabbrecher bedeutet weniger Altersarmut

Altersarmut ist und bleibt aber auch künftig nicht nur eine Folge von Rentenreformen, sondern insbesondere auch ein Problem des Arbeitsmarktes und der Anreize zur privaten Altersvorsorge sowie der Absicherung im Rahmen des Haushaltskontextes. Deswegen sollten zunächst vorbeugende Strategien verfolgt werden, bevor etwa die Ansprüche der Grundsicherung im Alter erhöht oder Zuschüsse für Niedrigrenten aus dem Steuertopf bezahlt werden.
Zu den vorbeugenden Strategien gehört an erster Stelle die Förderung von Qualifikation und Integration in den Arbeitsmarkt, um Altersarmut gar nicht erst entstehen zu lassen: Vor allem Migranten und Kinder aus einkommensschwachen Eltern haben hohe Schulabbrecherquoten. Hier muss ein Teufelskreis durchbrochen werden, denn Geringqualifizierte sind eher arbeitslos, können selbst mit Beschäftigung nur geringe Löhne erzielen und haben deswegen im Alter geringere Rentenansprüche.
 

Bessere Kinderbetreuung und Vereinfachung des Riestersparens

Höhere Renten ergeben sich aber auch, wenn die Erwerbstätigkeit von Müttern weniger leidet – hier könnten vor allem im Westen mehr Krippenplätze und Ganztagsschulen einen großen Beitrag leisten. Aber auch die Konditionen beim Riestersparen haben einen drastischen Verbesserungsbedarf. Noch immer führt die Anrechnung beim Bezug von Grundsicherung in eine Sparfalle für Geringverdiener. Bei allen anderen hemmt die Komplexität des Fördersystems eine schnellere Verbreitung und nerven die teils unverständlichen Förderkonditionen.
Dennoch: Erst Ursachen, dann Symptome bekämpfen
Erst wenn all diese Maßnahmen versagen, sollten rentenpolitische Maßnahmen im Sinne von heilenden Eingriffen herangezogen werden. Von Maßnahmen wie hohen Mindestlöhnen oder Zuschussrenten ist dagegen eher abzuraten: Sie sind nicht nur teuer, sondern erzeugen neue Probleme an anderer Stelle:

  • So müsste ein präventiver Mindestlohn sehr hoch ausfallen, um eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu gewährleisten. Das hätte aber erhebliche negative Effekte auf dem Arbeitsmarkt und würde gerade die Arbeitslosigkeitsrisiko für Geringqualifizierte erhöhen.
  • Zuschussrenten zur Aufwertung von Niedrigrenten sind problematisch, weil sie nur Langzeitbeschäftigten gewährt werden und daher dauerhaft Arbeitslose ausschließen, die die Mindestzeiten nicht erfüllen. Außerdem führen sie zu negativen Arbeitsanreizen für Ältere: Bei Erreichen des Schwellenwertes für den Zuschuss entsteht durch weiterarbeiten erstmal kein höherer Rentenanspruch mehr; dies ändert sich erst wieder nach sehr vielen zusätzlichen Beitragsjahren.

 

Lieber Altersvorsorge ohne Zinsen als Ruhestand ohne Zaster

Bei aller Komplexität des Rentensystems, der Riesterförderung und deren Wechselwirkungen mit Altersarmut darf aber immer eines nicht vergessen werden: Ziel der Rentenreformen war eben nicht eine reine Kürzung der Rentenansprüche. Ziel war es vielmehr, die finanziellen Lasten der erfreulicherweise steigenden Lebenserwartung gerecht auf die Schultern sowohl der Beitragszahler als auch der Rentenbezieher zu verteilen. Dazu wurden einerseits die Beitragssätze gedeckelt und andererseits die so entstehenden Renteneinbußen durch Anreize zum längeren arbeiten und zur privaten Vorsorge kompensiert.
Es liegt daher auch in der Hand der heutigen Erwerbstätigen, ob sie sich durch diese Anreize leiten lassen. Dabei sind die derzeitigen Niedrigzinsen ein besonders großes Ärgernis. Diese betreffen aber alle Sparer und nicht nur die Riesterverträge – auch wenn sie gerne als Argument gerade gegen die private Vorsorge in Stellung gebracht werden. Denn zur Vermeidung von Altersarmut tragen alle Ersparnisse bei – selbst unverzinste!

FOCUS-Online-Experte Reiner Braun