Versicherungsbetrug: Kavaliersdelikt oder Interessens-Konflikt?

Tipps für den richtigen Umgang mit dem Kunden

Makler-Ratgeber

Ein Ereignis, das sicher viele Makler-Kollegen/innen schon mal erlebt haben: Ein Kunde ruft an und will einen Schadensfall melden, bei dem es sich offensichtlich um den Versuch eines Versicherungsbetrugs handelt. Mancher Kunde bittet sogar mehr oder weniger direkt um Mithilfe bei seiner betrügerischen Absicht. Wie handeln Sie nun als Makler? „Keine Frage! Ablehnen natürlich!“ Dies wird sicherlich Ihre und die Antwort der meisten Versicherungsvermittler sein. Ist das Thema aber wirklich so einfach zu beantworten? Wie reagieren Sie in einem solchen Fall richtig?

10.12.2020

Sollte es sein, ist es aber manchmal nicht. Oft wird ein Kunde sein Anliegen noch mit einer bestärkenden Argumentation untermauern, z. B.: „Ich habe doch alle meine Versicherungen bei Ihnen. Das soll eigentlich auch so bleiben. Aber dann bräuchte ich mal Ihre Hilfe.“ Also die ziemlich eindeutige Drohung, bei fehlender Unterstützung die Verträge zu kündigen oder sich einen anderen Berater zu suchen, der diese dann in seinen Bestand übernimmt. In der Folge ein nicht-unerheblicher finanzieller Verlust für den betroffenen Makler. Der Schaden könnte durch das Fehlen künftiger Empfehlungen oder sogar negativen Äußerungen anderen Kunden gegenüber noch größer werden. Also ein echter Gewissenskonflikt.

Nicht selten argumentieren Pseudo-Geschädigte sogar mit einem moralischen Anspruch, von dem sie absolut überzeugt sind: „Jetzt habe ich schon 20 Jahre lang viel Geld in meine Haftpflichtversicherung gezahlt, ohne dass ich davon etwas hatte. Ist doch mehr als gerechtfertigt, wenn ich mir jetzt auch mal etwas Geld da raushole.“ Wer so überzeugt von seiner völlig falschen Einschätzung des Sinns einer Versicherung ist, der wird kaum Verständnis für die Ablehnung der Mitwirkung haben.

Was bedeutet eigentlich „Versicherungsbetrug“?

Die Definition laut Wikipedia: Versicherungsbetrug sind alle Handlungen, mit denen Versicherungsnehmer oder Dritte von einem Versicherungsunternehmen in betrügerischer Absicht Versicherungsleistungen beanspruchen.

Bei den Formen des Versicherungsbetruges kann man im Wesentlichen zwischen vier Ausprägungen unterscheiden:

Die vorsätzliche oder schuldhafte Herbeiführung:

Das Schadensereignis wird geplant und bewusst herbeigeführt. Der Versicherungsnehmer oder Anspruchsberechtigte hat dadurch zwar tatsächlich einen wirtschaftlichen Schaden erlitten. Ziel ist es aber, dass die geforderte Versicherungsleistung wesentlich höher als der tatsächlich erlittene Schaden ist. Ein typisches Beispiel hierfür sind organisierte Banden, die mit bereits beschädigten und oft schon fast wertlosen Autos bewusst Auffahrunfälle provozieren, bei denen die Schuld beim Gegner liegt. Das gleiche Auto wird dann sehr einfach wieder fahrtüchtig gemacht und immer wieder verwendet.

Das fingierte Ereignis:

Hier ist tatsächlich überhaupt kein Schaden entstanden, es hat gar kein Versicherungsereignis stattgefunden. Die Beanspruchung der Versicherungsleistung beruht in solchen Fällen regelmäßig auf falschen Rechnungen bzw. sonstigen belegenden Dokumenten. Gerne wird hier die Auslandsreisekrankenversicherung in Anspruch genommen, indem man Arzt- oder Krankenhausrechnungen vorlegt, die man sich vor Ort gegen ein entsprechendes „Trinkgeld“ besorgt hat.

Die Übertreibung des Schadens:

Der Betrüger gibt hier vor, dass der zu begleichende Schaden höher ist, als er tatsächlich war. Typische Fälle hierzu passieren regelmäßig bei der Hausratversicherung nach einem Einbruch oder einem Wohnungsbrand. Als Belege dienen dann häufig Fotos von Einrichtungs- oder Wertgegenständen, die sich tatsächlich aber gar nicht im Besitz des Versicherten befunden haben. Im Internet gibt es hierzu sogar schon Unterstützung: Man kann sich leere Verpackungen von Luxusartikeln bestellen und diese als Beleg für den Besitz nutzen.

Die gefälschte Darstellung:

Es hat tatsächlich ein Schaden stattgefunden, aber in einer Form, für die kein Versicherungsschutz besteht. So wird in der Schadensbeschreibung aus einem grob fahrlässigen Handeln sehr schnell nur eine leichte Fahrlässigkeit, die noch versichert ist. Entsprechende Bestätigungen von Familienangehörigen oder „Freunden“ sorgen für die notwendige Glaubwürdigkeit.

Die Konsequenz: Eine Straftat

Der Gesetzgeber ahndet Versicherungsbetrug mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren oder mit einer Geldstrafe. In besonders schweren Fällen kann sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren drohen. Allein diese Einstufung zeigt, dass Versicherungsbetrug sicher nicht als Kavaliersdelikt bezeichnet werden kann. Und die Mitwirkung oder Unterstützung natürlich auch nicht.

Der Schaden für die Versicherungswirtschaft und die Gegenmaßnahmen

Nach Schätzungen des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft sind jährlich in der Schaden- und Unfallversicherung rund 4 bis 5 Milliarden Euro an Versicherungsleistung als Versicherungsbetrug einzustufen. In einigen Sparten geht man davon aus, dass jede zehnte Schadensmeldung auf Betrug basiert. Dagegen wehrt sich natürlich die Branche über verschiedene Wege.

Der erste Schritt ist eine entsprechende Schulung der Mitarbeiter in den Schadensabteilungen, die auf entsprechende Signale für ein betrügerisches Verhalte sensibilisiert werden. Bei größeren Schäden bedient man sich auch externer Detekteien, die auf das Thema spezialisiert sind. Ein besonders wirksames Instrument ist die Vernetzung der Versicherer untereinander. Hierzu wurde im Jahr 2011 das sogenannte Hinweis- und Informationssystem (HIS) eingeführt, das durch die Datenlieferung der Versicherer und entsprechenden Abgleich in vielen Fällen zu einer Aufdeckung betrügerischer Vorgehensweisen führt. Dies schon mal als wichtiger Hinweis: Viele Betrugsfälle werden aufgedeckt. Mit entsprechenden strafrechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen sowohl für die Betrüger als auch die Mitwirkenden.

Häufiger Aufklärungsgrund: Dummheit

Alle Branchenkenner kennen natürlich noch die Story des Betrügers, der einen schweren Hagelschaden an seinem Auto meldete. Sein Fehler: Er hatte die Motorhaube aufgeklappt und die Dellen von innen mit einem Rundhammer selbst angebracht. Aus dieser Richtung konnte aber kaum ein Hagel kommen.

Nicht weniger „dumm“ war das Verhalten eines Rollstuhlfahrers, der aufgrund seiner augenscheinlichen Behinderung eine Berufsunfähigkeitsrente kassierte. Sein Fehler: Er war sportlich sehr aktiv und nahm an Marathonläufen teil. Seinen Stolz über seine sportlichen Leistungen zeigte er durch intensives Posting seiner Läufe in den sozialen Medien. Das blieb nicht lange unerkannt. Erkenntnis daraus: Nicht nur über gezielte Gegenmaßnahmen wird Versicherungsbetrug häufig erkannt. In vielen Fällen „outen“ sich die Betrüger unbeabsichtigt sogar selbst.

Wie reagieren Sie als Vermittler und Berater?

Im Bereich Versicherungsbetrug gibt es zwei grundsätzliche Tätergruppen:              

  • Organisierte Kriminelle und

  • Gelegenheitstäter.

Mit dem bandenmäßig organisierten Versicherungsbetrug werden Versicherungsvermittler regelmäßig kaum konfrontiert. Diese Kriminellen beziehen nur selten Dritte in ihre Machenschaften mit ein. Das Aufdeckungsrisiko ist zu hoch. Konfrontiert werden Sie damit höchstens in dem Fall, dass Ihr Kunde der Geschädigte einer derartigen Bande ist, z. B. in der KFZ-Versicherung.

Die typische Ansprache erfolgt durch den ganz normalen Kunden, der an Ihre Unterstützung appelliert: „Meiner Frau ist beim Putzen ein Missgeschick passiert. Unser Flatscreen-Fernseher ist zu Bruch gegangen. Der hat rund 2.000 Euro gekostet. Können wir das nicht über die Haftpflicht meines Freundes regeln. Er wäre einverstanden, er ist ja auch bei Ihnen versichert.“ Die Ablehnung dieser sogenannten „Gefälligkeit“ ist ein Muss – trotz eines möglichen wirtschaftlichen Schadens für den Vermittler. Die Gründe dafür sind vielfältig:

Das Prinzip der Solidargemeinschaft
Versicherungen funktionieren nach einem bestimmten Prinzip: Viele zahlen einen tragbaren „kleinen“ Beitrag, damit das Geld zur Verfügung steht, bei einigen Versicherten mit einem großen Schaden die Existenz zu retten. Versicherungsbetrug untergräbt das Prinzip der Solidargemeinschaft. Wer also über den Sinn und Zweck einer Versicherung richtig aufklärt und gleichzeitig Versicherungsbetrug unterstützt, macht sich selbst unglaubwürdig.

Die Versicherungsprämie
Ohne Versicherungsbetrug könnten die Prämien in einigen Sparten um 10% oder mehr gesenkt werden. Hier bereichern sich also einige Betrüger zu Lasten vieler anständiger Beitragszahler. Und: Nicht selten scheitert wichtiger Versicherungsschutz an der Bezahlbarkeit der Prämie. Könnte man diese senken (ohne Betrug möglich!), könnten sich noch mehr Menschen beruhigenden Versicherungsschutz leisten.

Kriminelle Energie
Versicherungsbetrug ist ein Straftatbestand. Wer diesen Betrug begeht, kann also als kriminell bezeichnet werden. Wer derartige Betrüger unterstützt, muss sich das gleiche Attribut anheften lassen: kriminell

Die fehlende Notwendigkeit
Bei dem typischen Fall des Versicherungsbetruges geht es selten um Existenzsicherung. Die Schadenshöhen bewegen sich fast immer in einem Bereich, den der Geschädigte (oder auch gar nicht Geschädigte) ohne große Probleme selbst tragen kann. Der Schaden ist sicher unangenehm und schmerzlich, aber meist durch eigene Fehler verursacht, für die man eben selbst aufkommen muss.

Das Image unseres Berufsbildes
Wir kennen das Problem des schlechten Ansehens unseres Berufsbildes . Wenn Sie dagegen etwas unternehmen wollen, dürfen Sie sich nicht auf das Niveau eines Betrügers hinabbewegen. Sie werden nicht verhindern können, dass Ihr betrügerischer Kunde möglicherweise mit seinem erfolgreichen Betrug bei Dritten „prahlt“ und Ihre Mitwirkung erwähnt. Wie dies bei den Zuhörern ankommt, kann sich jeder vorstellen.

Ihre berufliche Existenz
Für Ihre berufliche Zulassung ist eine „persönliche Zuverlässigkeit“ Voraussetzung. Sollte Ihre Mitwirkung an einem Versicherungsbetrug offenkundig werden, kann Sie dies Ihre gesamte berufliche Grundlage kosten. Das ist kein Kunde wert.

Sie machen sich erpressbar
Das Grunddilemma jedes kriminellen Handelns: Wissen andere davon, können Sie von diesen erpresst werden. Ihr Betrugskunde empfiehlt Sie unter Umständen an einen Dritten weiter, der auch Unterstützung bei einem Versicherungsbetrug braucht. Man wird ggf. versuchen, Sie mit einem dezenten Hinweis auf Ihre Mittäterschaft zu einer erneuten Unterstützung zu „zwingen“.

Strafrechtliche Konsequenzen
Die Unterstützung einer Straftat kann ebenso strafrechtlich verfolgt werden wie der Betrug selbst. Ein entsprechender Eintrag in Ihrem polizeilichen Führungszeugnis wäre die Konsequenz.

Der moralische Aspekt
Versicherungsbetrug lässt sich auch so definieren: Ein einzelner bereichert sich unrechtmäßig zu Lasten vieler anderer. Ein derartiges asoziales Verhalten muss bei jedem auf Ablehnung stoßen, der an sich selbst hohe moralische Ansprüche hat.

Wie reagieren Sie nun Ihrem Kunden gegenüber und formulieren Ihre Ablehnung?

Trotz aller Ablehnung und ggf. auch Verärgerung über den Kunden sollten Sie sich für das Thema Zeit nehmen und versuchen, auf den Kunden einzugehen. Eine kurze, konsequente und erklärungslose Abfuhr würde wahrscheinlich dazu führen, dass Sie den Kunden verlieren. Und Sie hätten bei ihm keinerlei Umdenken und Unrechtsbewusstsein herbeigeführt. Der nächste Versuch eines Versicherungsbetruges oder der Appell an einen anderen Vermittler wäre vorprogrammiert.
Versuchen Sie daher im ersten Schritt, Ihren verständlichen Ärger über den Kunden zu reduzieren. Viele Menschen denken sehr einfach und nur in den Bahnen, die genau auf ihr derzeitiges Motiv und Interesse ausgerichtet sind. Sie sind sich in vielen Fällen auch der Konsequenzen und der Bedeutung ihres Handelns gar nicht bewusst. Stempeln Sie Ihren Kunden also nicht sofort als moralisch verwerflich und kriminell ab, sondern versuchen Sie, ihn über sein Vorhaben aufzuklären.

Hier ein Argumentationsleitfaden für das Gespräch zum versuchten Versicherungsbetrug

Erklären Sie Ihren Kunden nochmal ausführlich das Solidarprinzip jeder Versicherung. Fragen Sie ihn doch mal, ob es sich auch schon über die regelmäßigen Erhöhungen seiner Krankenkassenbeiträge und die immer wieder neuen Leistungsbeschränkungen geärgert hat? Da sagt fast jeder „Ja“. Dann erklären Sie ihm, dass beide Aspekte wesentlich moderater ausfallen könnten, wenn es nicht so viele Leistungsbetrüger gäbe. Verdeutlichen Sie ihm, dass er dafür zahlt, dass andere betrügen. Und dann fragen Sie ihn, was er von diesen Menschen hält.

  1. Machen Sie ihm seinen gedanklichen Irrtum klar: Viele sind der Meinung, dass die ganzen Versicherungen reich sind und auf viel Geld sitzen. Ein paar Euro zu seinen Gunsten würden die doch gar nicht merken und denen überhaupt nicht schaden. Jeder Versicherer wird versuchen, seine eigene Rentabilität zu wahren. Viele Schäden werden also einfach zu Prämienerhöhungen führen. Seinen Versicherungsbetrug zahlen in letzter Konsequenz also alle anderen Versicherten und auch er selbst.

  2. Führen Sie ihm vor Augen, dass sein Betrugsversuch strafrechtliche Konsequenzen für ihn haben könnte. Dessen sind sich viele gar nicht bewusst. Oft herrscht der Glaube, dass bei Aufdecken des Betrugsversuches lediglich eine Ablehnung der Schadensregulierung erfolgt und sonst keine weiteren Folgen. Ein Irrtum, den Sie aufklären sollten.

  3. Zeigen Sie ihm analog auf, welche gravierenden Folgen einer Unterstützung bei Ihnen als Berater entstehen könnten. Strafrechtliche Verfolgung, Strafe, Verlust der beruflichen Zulassung, Gefährdung der persönlichen und familiären Existenz usw. Dann fragen Sie doch mal direkt, ob er Ihnen das tatsächlich antun möchte?

  4. Und jetzt fragen Sie ihn abschließend, ob es ihm wichtig ist zu wissen, dass er zu allen Versicherungsangelegenheiten einen Ansprechpartner hat, dem er volles Vertrauen schenken kann? Auf seine „Ja“-Antwort sollten Sie ihn fragen, ob er jemandem vertrauen kann, der kriminelles und betrügerisches Handeln unterstützt? Mit dieser finalen Argumentation werden Sie sicher Ihre Position beim Kunden stärken und in vielen Fällen den Betrugsversuch im Keim ersticken können.

Zurück zur Ausgangsfrage: Ist Versicherungsbetrug ein Kavaliersdelikt oder ein Interessens-Konflikt?

Die klare Antwort: Weder noch! Niemand würde kavaliersmäßiges Benehmen mit verbrecherischem Verhalten gleichsetzen. Und wenn Sie Ihren Kunden analog der obigen Argumentationskette über den Sinn und Zweck der Solidargemeinschaft Versicherung aufgeklärt haben, wird er erkennen, dass er damit seinen eigenen Interessen schadet. Jeder Versicherte will Versicherungsschutz zur Existenzsicherung zu einer bezahlbaren Prämie.

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